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Suizidprävention
Suizid­­prävention

Suizidprävention

Juli 2018

Eine Aufgabe der Suizidprävention ist es, Menschen in Krisen Halt zu bieten und auch die Angehörigen zu unterstützen. Im Magazin wird beschrieben, wie Suizidalität entsteht und welche präventiven Massnahmen im Kanton Zürich umgesetzt werden.
- Auf gutem Weg
- Krisen von Jugendlichen früh erkennen
- Vorbild Unfallprävention
- Umgang mit Suiziddrohungen
- Sterbewunsch und Depression

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Vorbild Unfallprävention

Suizidversuche sind oftmals eine «Kurzschlussreaktion» in Krisen mit unerträglich hohem Leidensdruck. Ein Vergleich mit der Unfallprävention zeigt, dass ein breit abgestütztes Präventionsprogramm die Opfer­zahlen nachhaltig senken kann.
Text: Gregor Harbauer und Sebastian Haas

Suizidalität kann verstanden werden als Ausdruck eines Ausnahmezustandes, in dem ein Mensch unerträgliche seelische Not erfährt. Über Tage, Wochen oder noch länger erleben Betroffene nicht mehr ertragbare psychische Schmerzen, die sich für Aussenstehende im Alltag häufig nicht sogleich erschliessen. Gelingt es nicht, diese Krise zu überwinden, besteht die grosse Gefahr, dass das Leiden weiter zunimmt, bis ein Punkt überschritten wird, an dem der Leidensdruck schlicht nicht mehr aushaltbar ist – das Fass ist sozusagen voll. Die Betroffenen finden in ihrem getrübten Blickfeld keinen anderen Ausweg mehr als die Suizidhandlung – als scheinbar letzte Möglichkeit, den Schmerz zu beenden. Zahlreiche Fachpersonen gehen heute davon aus, dass Betroffene in diesem Moment die Kontrolle über sich und ihre Handlungen verlieren. Suizidale Verhaltensweisen laufen in diesen Fällen ausserhalb der bewussten kognitiven Kontrolle ähnlich wie in Trance ab – in einem so genannten dissoziativen Zustand. Sie können deshalb als Folge eines «psychischen Unfalls» bezeichnet werden.

Im richtigen Moment handeln kann Leben retten
Wer einmal einen Suizidversuch unternimmt, wird es immer wieder versuchen – dieses Vorurteil ist schlicht falsch. Neun von zehn Personen, die einen Suizidversuch überlebt haben, werden auch später nicht durch Suizid aus dem Leben scheiden. Der Wunsch, nicht mehr leben zu wollen, ist in den meisten Fällen nicht beständig über die Zeit, sondern klingt ab, wenn die Krise überstanden ist. Impulsive Menschen sowie Menschen mit belastenden psychischen Symptomen oder psychischen Störungen sind besonders gefährdet, in Krisensituationen Kurzschlusssuizide zu begehen. Gelingt es in diesem Moment mit den geeigneten Massnahmen, den Suizid zu verhindern und die Krise zu entschärfen, so rettet die Prävention nachhaltig Leben.

Überraschende Vergleichbarkeit
Dass in der Prävention verschiedene technische Massnahmen sowie Aufklärungs- und Ausbildungs­massnahmen Hand in Hand gehen können, um Opferzahlen zu senken, zeigt ein Blick auf die Unfallprävention. Dieser Vergleich ist treffender als es zunächst scheint. Die Statistik tödlich verunfallter Personen im Strassen­verkehr zeigt, dass die Anzahl Todesopfer seit den 70er Jahren trotz steigendem Verkehrsaufkommen massiv gesenkt werden konnte. Massnahmen wie Gurten­obligatorium, verbesserte Signalisation, tiefere Promillegrenze, stärkere Ahndung von Raserdelikten aber auch Sensibilisierungskampagnen zeigen Wirkung. Die Millionen, die im Bundesprogramm via sicura für Unfallprävention ausgegeben werden, retten Leben. Beispiele zeigen, dass dies auch in der Suizidprävention möglich ist.

Wirksame Massnahmen
Mit der Armeereform XXI wurde der Bestand an Armeewaffen massiv verkleinert. Als direkter Effekt davon ging die Anzahl der Schuss­waffen­suizide in der Schweiz deutlich zurück (siehe Tabelle unten). Gemäss einer Studie von Thomas Reisch et al. (2013) ging parallel dazu auch die Gesamtrate an Suiziden in der betroffenen Zielgruppe von Männern im Alter von 18-43 Jahren zurück. Besonders eindrücklich: In derselben Zeitperiode wurden Suizide nicht signifikant häufiger mit anderen Methoden begangen. Lediglich die Anzahl Schienensuizide erhöhte sich geringfügig. Diese Befunde zeigen: Diese Einschränkung der Suizidmethode führte lediglich in ca. einem von fünf Fällen (22 %) zu einem Wechsel der Methode. Zusätzlich unterstützt wurde diese erfreuliche Entwicklung noch durch den Verzicht der Armee auf Abgabe von Munition ab 2007. In den Jahren nach der Reform starben in der Schweiz jedes Jahr 30 Menschen weniger durch Schusswaffensuizide.

Doch Präventionsmassnahmen beschränken sich nicht auf die Methodenrestriktion. Im Zürcher Schwer­punkt­programm Suizidprävention wurden fünf Handlungsfelder definiert, in denen Präventionsprojekte umgesetzt werden. Neben der Hilfe in Krisen und zielgruppenspezifischen Massnahmen ist weitere Sensibilisierungs­arbeit zu verrichten. Betroffenen wie auch dem Umfeld muss der Zugang zu Informationen und Hilfsangeboten erleichtert werden. In all diesen Handlungsfeldern bestehen weitere Massnahmen, die mit den nötigen Ressourcen und einem genügend langen Atem zur stetigen Verbesserung der Situation beitragen können: Im Handlungsfeld «Hilfe in Krisen» sollten in Zukunft noch vermehrt – unter anderem internet-basierte – niederschwellige Zugänge (wie z.B. Telefon- und Onlineberatung) etabliert werden. Für Jugendliche in akuten suizidalen Krisen braucht es im Kanton dringend ausreichende niederschwellige Interventionsangebote. Bei der Einschränkung der Suizidmethoden gilt alle Aufmerksamkeit den gut etablierten und noch stark ausbaufähigen baulichen Massnahmen an öffentlichen «Hot-Spots». Internationale Studien belegen die hohe Wirksamkeit von Sensibilisierungs­massnahmen in Schulen. Andere wichtige Zielgruppen für die Suizidprävention sind Multiplikatoren im Sozial- und Gesundheitswesen, die weiterhin geschult und gecoacht werden müssen. Als qualitätssichernde Massnahme sind Suizidhäufigkeiten und -methoden langzeitig zu monitorisieren. Die Website zum Suizidpräventions­programm, die wichtige Informationen für Angehörige und Umfeld enthält, muss auch in den kommenden Jahren aktuell gehalten werden.

Vision suizidsensitive Gesellschaft
Der Kanton Zürich hat mit dem Suizidpräventionsprogramm einen wichtigen und erfolgreichen Meilenstein geschaffen. Für die Fortführung und nachhaltige Wirksamkeit der bereits getroffenen und weiterer Massnahmen ist auch in Zukunft ein übersektorielles Engagement aller Fachkreise, politischer Instanzen und anderer der Mitmenschlichkeit verpflichteten Bevölkerungsgruppen nötig. 

Der Leidensweg von subjektiv nicht bewältigbaren Problemen bis zur letztlich letalen Handlung verläuft meistens über eine längere Zeitdauer und bietet immer wieder gute Gelegenheiten, gefährdete Menschen auf ihre Suizidalität anzusprechen, ihnen Entlastung anzubieten und so zur erfolgreichen und nachhaltigen Bewältigung ihrer Suizidalität beizutragen. Nutzen wir diese Chance! Je besser das Unterstützungsnetzwerk ist, das in Krisen zur Verfügung steht und je stärker die Gesellschaft für die Anzeichen und Wirkungsmechanismen von Suizidalität sensibilisiert ist, desto öfter werden wir Suizide verhindern können.


Lic. phil. Gregor Harbauer
Leitender Psychologe
Privatklinik Hohenegg
Tel. 044 925 15 58, gregor.harbauer(at)hohenegg.ch

Dr. med. Sebastian Haas
Stv. Ärztlicher Direktor
Privatklinik Hohenegg
Präsident Forum Suizidprävention
und Suizidforschung Zürich FSSZ
Tel. 044 925 15 15, sebastian.haas(at)hohenegg.ch

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