Dienstagmorgen in der Schule Ottikon-Kyburg. Im Klassenrat erzählen die Schülerinnen und Schüler, wie es ihnen geht. Sie sprechen über Gefühle wie Traurigkeit, Angst, Wut, aber auch Glück und Freude. «Wir haben uns daran gewöhnt, ehrlich über unsere Gefühle zu reden», sagt eine Sechstklässlerin.
Das war nicht immer so. Während die kleineren Kinder von Anfang an mit Hilfe von Bilderbüchern wie «Das Farbenmonster» unbefangen auf die Befindlichkeitsrunden reagierten, gaben viele ältere Schülerinnen und Schüler Standardantworten wie «Ich bin zufrieden». Einige waren irritiert bis ablehnend: «Ich weiss jetzt nicht, wie es mir geht.», «Ich will nicht über meine Gefühle reden, das ist privat». Das war im Frühjahr 2022, als die Schule in der ersten bis sechsten Klasse mit MindMatters startete. «Mittlerweile ist es normal geworden, in den wöchentlichen Befindlichkeitsrunden über die eigenen Gefühle zu reden. Die Antworten fallen viel differenzierter aus», stellt Yvonne Balle fest, die als Lehrerin an der Schule Ottikon-Kyburg arbeitet.
Psyche wirkt sich auf Leistungen aus
Psychische Auffälligkeiten wie Ängste oder Aggressionen können sich negativ auf die Leistung und die soziale Entwicklung auswirken. MindMatters unterstützt Schulen, die psychische Gesundheit der Schülerinnen und Schüler zu stärken. Das Programm umfasst einerseits Module zur Schulentwicklung und andererseits stufenspezifische Unterrichtsmodule mit Aktivitäten, die in den Unterricht integriert werden können. Im Kanton Zürich gibt es aktuell 23 MindMatters-Schulen.
Mobbing und Stress thematisieren
In der Schule Ottikon-Kyburg steht MindMatters wöchentlich 20 bis 30 Minuten auf dem Programm. «In der Unterstufe fördern wir mit MindMatters das Ich-Bewusstsein und die Beziehungskompetenzen. Auf der Mittelstufe setzen wir uns mit dem Selbstmanagement und der Entscheidungskompetenz auseinander», erklärt Schulleiter Stefan Fretz. In Vertiefungsmodulen nehmen die Klassen Themen wie Freundschaft, Mobbing oder Stress durch. Sie spielen beispielsweise Konflikte nach und suchen dabei nach Lösungen. Die Übungen fördern die Kommunikation, das Sprechen über eigene und fremde Gefühle, Partizipation, Freundschaft und Verbundenheit zur Klasse und zur Schule. «Wir möchten die Schülerinnen und Schüler befähigen, Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, gute Beziehungen aufzubauen und respektvoll miteinander umzugehen. Sie sollen durch MindMatters resilienter werden», fasst Fretz zusammen.
«Mir ist es wichtig, diese Themen im Schulalltag zu leben», betont Balle. Streiten sich zwei Kinder in der Pause, geht die Lehrerin auf diese zu und fragt: Wie geht es dir gerade? Wie fühlst du dich? Was denkst du, welche Gefühle löst diese Situation bei deinem Gegenüber aus?
Eine Lösung zum Vorbeugen
In der Schule Ottikon-Kyburg kam es vermehrt zu Konflikten und Mobbing, bevor MindMatters eingeführt wurde. «Die Auseinandersetzungen spielten sich häufig in der Freizeit ab. Das machte es schwierig für uns, an diese Konflikte heranzukommen», berichtet Fretz. Die Schule suchte nach Ansätzen zur Prävention und stiess dabei auf MindMatters, das vom kantonalen Aktionsprogramm Psychische Gesundheit unterstützt wird. Dass eine externe Fachperson einer regionalen Suchtpräventionsstelle die Schule in der ersten Zeit begleitet und dass das Lehrmittel den Lehrpersonen viele Freiheiten lässt, überzeugte das Schulteam.
An Bestehendes anknüpfen
«MindMatters ist mehr als ein Lehrmittel. Es setzt eine Schulentwicklung in Gang», erklärt Julia Rüdiger, Fachfrau Prävention und Gesundheitsförderung bei «samowar» Bezirk Horgen. Sie hat die Schule Ottikon-Kyburg bei der Einführung, Umsetzung und Verankerung von MindMatters unterstützt. «Schulen, die MindMatters einführen, müssen nicht alles umkrempeln. Sie können an Bestehendes anknüpfen.» Für eine erfolgreiche Umsetzung ist es wichtig, dass die Schulleitung und die Lehrpersonen hinter dem Programm stehen, dass Ressourcen vorhanden sind, dass ein grosser Teil des Teams möglichst konstant ist und Lust zur Mitgestaltung und zur längerfristigen Auseinandersetzung mit dem Thema hat.
MindMatter tut der Schule gut
In Ottikon-Kyuburg zeigt sich: MindMatters hat einen guten Einfluss auf das Schulklima. «MindMatters unterstützt mich in vielen Situationen, etwa wenn ein Kind zu Hause Probleme hat oder sich mit anderen streitet», sagt Balle. Auch Stefan Fretz spürt die positiven Effekte. Gespräche zur Konfliktlösung seien messbar zurückgegangen. «Die Kompetenz im Umgang miteinander hat sich verbessert.»
Mentale Gesundheit der Lehrpersonen
MindMatters stärkt indirekt auch die psychische Gesundheit der Lehrpersonen. Denn die Diskussionen rund um das Thema «psychische Gesundheit im Schulalltag» wirkt sich positiv auf die Zusammenarbeit und das Wohlbefinden im Schulteam aus. Auch Stefan Fretz betont, dass für ihn die psychische Gesundheit der Lehrpersonen eine wichtige Voraussetzung sei, um das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler zu stärken. Selbstfürsorge, ein gutes Stressmanagement, eine gesunde Abgrenzung und Pausenkultur sind Themen, die er regelmässig an Schulentwicklungstagen mit den Lehrpersonen diskutiert.